"Gott, welche Rückerinnerung"
ruft Lehmann da wach
Tagebücher des Hainichener Tuchmacherfabrikanten zeigen Gellertstadt
vor 170 Jahren
- Sonja Voigt hat in alten Akten recherchiert
VON FALK BERNHARDT
Hainichen. »Hat es denn auch einer Nutzen, dass ich soviel Zeit
und Mühe auf dieses Tagebuch verwende?" fragte sich am 2. Juli 1829
der Hainichener Tuchmacher Friedrich Gottlob Lehmann, nachdem er bereits
drei Jahre lang Aufzeichnungen zu allen Begebenheiten in der Stadt und
zu persönlichen Befindlichkeiten geführt hatte. Die Bedeutung
seiner Tagebücher konnte er damals noch nicht absehen, heute sind
sie für die Geschichtsforschung in Hainichen sehr wertvoll, da sie
eine große Lücke, bedingt durch den großen Rathausbrand,
in den amtlichen Unterlagen schließen.
Der dritte Band der Lehmann'schen Tagebücher
ist inzwischen erschienen, Sonja Voigt aus Hainichen kennt nicht nur seine
Aufzeichnungen, sie hat seit 1996, zunächst über eine ABM und
später ehrenamtlich, über Lehmann und diese Zeit recherchiert.
Am Dienstag stellte sie ihre Erkenntnisse im Tuchmacherhaus fast 30 interessierten
Zuhörern vor. Den ersten Lehmann in Hainichen machte sie 1618 ausfindig,
die heutige Brauhofstraße 8 wird als Geburtshaus angenommen. Das
Tuchmacherhaus selbst hatte auch für Lehmann eine Bedeutung, erhielt
er doch hier seinen Meisterbrief.
Amüsant für die Zuhörer waren besonders die Passagen
der Tagebücher, die ungewollt Parallelen zur heutigen Zeit aufzeigen.
So schimpfte Lehmann über den Amtsschimmel, denn sein Termin im Rathaus,
der ihn zum Bürger von Hainichen machte, wurde damals um. ganze drei
Stunden verschoben. ,,Beunruhigend ist, dass immer mehr Sachsen ihr Vaterland
verlassen müssen", beschrieb er weiterhin die damals schon schwierige
wirtschaftliche Situation und die Erkenntnis, dass es besser sei, von Hainichen
wegzugehen. Immerhin ließe sich hier leichter Geld verdienen als
in Mittweida oder Oederan. Auch ein in Mittweida getätigter (ungünstiger)
Wollkauf, wurde durch gesprächige Mitbürger unbeabsichtigt zum
Stadtgespräch - da hat sich bis heute nichts geändert, waren
sich die Zuhörer einig. Der »Goldene Löwe", in dem Lehmann
verkehrte, war leider damals bereits ein Verkaufslokal. Nur im Rathaus
sind heute Glücksspiele und Saufgelage wohl nicht mehr so salonfähig.